von Gerd Schreiber
Von unserem Hund verlangen wir zum Teil Dinge, die in sich widersprüchlich sind... Zum einen möchten wir eine gute Bindung zu ihm haben. Er soll kommen, wenn wir ihn rufen, auf dem Waldspaziergang soll er in unserer Nähe bleiben und häufig Kontakt aufnehmen. Wir möchten, dass er mit uns spielt, mit uns kuschelt. Andererseits aber soll er ohne Probleme vier bis sechs Stunden oder länger alleine bleiben, damit wir ohne Hund unserer Arbeit oder anderen Dingen nachgehen können - eine Dilemmasituation!
Was ist Trennungsstress?
Trennungsstress ist eine biologisch sinnvolle emotionale Erregung die dafür sorgt, dass Bindungspartner sich wieder vereinen.
Früher sprach man von Trennungsangst. Doch seitdem die Wissenschaft genauere Kenntnisse darüber hat, wie welches Verhalten ausgelöst wird und auf welcher emotionalen Basis dieses steht, spricht man von Trennungsstress. Trennungsstress unterscheidet sich neurobiologisch von der Emotion Angst. Es sind andere Gehirnstrukturen aktiv, wenn Bindungspartner getrennt werden.
Jeder, der sich einmal von einem „Lieben“ trennen musste, weiß, wie schmerzlich dieses ist. Und genau das ist es auch, was Trennungsstress so problematisch macht - es tut weh! Wenn ein Hund Verhalten zeigt welche auf Trennungsstress schließen lassen, müssen wir davon ausgehen, dass unser Hund tatsächlich auch körperlich leidet.
Vor diesem Hintergrund macht es noch einmal mehr Sinn, sich vertiefter mit diesem Thema zu befassen, als nur darüber nachzudenken, dass sich die Nachbarin über den kläffenden Hund beschwert.
Trennungsstress und Angst
Erschwert wird die Situation, wenn zur Emotion Trennungsstress (nach Jaak Panksepp 2008 „PANIK“), die Emotion Angst hinzu kommt. Je stärker unser Hund auf Angstauslöser reagiert, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er auch an Trennungsstress leidet. Muss nicht, kann aber sein!
Ein allgemein erhöhtes Stressniveau des Hundes macht die Sache nicht einfacher. Ein hohes Erregungsniveau, Angst – das sind Faktoren, die die Fähigkeit „Alleine bleiben können“ nicht verbessern - im Gegenteil.
Oft wird aber Trennungsstress gar nicht als Trennungsstress identifiziert, denn der Hund „leidet“ zu Beginn vielleicht nur still vor sich hin. Hier kommt die Handlungsbereitschaft beim Hundehalter meist erst, wenn sich Nachbarn gestört fühlen, der Hund sich in der Wohnung verewigt oder Dinge zerstört.
Soziallebende Säugetiere, also auch der Hund und wir Menschen, binden uns aneinander. Bindung ist durch verschiedene Aspekte gekennzeichnet. Der übermäßige Austausch positiver Interaktionen, gemeinsames Handeln und eben auch Trennungsstress, wenn das Individuum nicht gelernt hat, die Trennungssituaiton zu bewältigen. Das schließt allerdings nicht aus, dass auch Hunde, die sehr an ihrer Umwelt interessiert sind, ebenfalls unter Trennungssstress leiden können.
Anzeichen von Trennungsstress
Die Symptome für Trennungsstress können sehr vielfältig sein. Häufig wird Heulen, Wimmern und/oder stereotypes Bellen beschrieben.
Wenn Bindungspartner getrennt werden, ist eine Möglichkeit die Verbindung zu halten oder wiederherzustellen, den anderen zu rufen! Es ist also ein biologisch absolut sinnvolles Verhalten des Hundes, zu bellen oder zu heulen. Für den Nachbarn ist es nervig, aber für uns Hundehalter ein sehr deutliches Zeichen. Weitere Symptome sind starkes Hecheln während der Trennung, Urinieren, Koten, Beknabbern oder Zerbeißen von Gegenständen.
Werden beispielsweise Türrahmen, Türen oder Tapeten im Eingangsbereich oder in der Nähe von Fenstern zerstört, so ist diese ein sicherer Hinweis darauf, dass der Hund Probleme mit dem Alleine-bleiben hat.
Dabei muss man unterscheiden, ob es Dinge sind, die der Hund lediglich während unserer Abwesenheit mit dem Fang erkundet und sie einfach zur Beschäftigung zerkaut oder ob er gezielte Dinge seiner Bezugsperson zerstört. Im Einzelfall muss genau geprüft werden, wie und an welchen Gegenständen sich der Hund wann zu schaffen macht, damit der Trainingsplan effektiv und zielorientiert gestaltet werden kann.
Symptome, die oft nicht als Symptom des Trennungsstresses gesehen werden, aber Hinweise darauf liefern, können Durchfall, Ruhelosigkeit, Lethargie und/oder übermäßiges Trinken sein.
Trennungsproblematik erkennen
Eine tolle Möglichkeit, Trennungsproblematiken besser zu erkennen und zu verstehen ist es, während der Abwesenheit eine Videokamera laufen zu lassen. Hat man keine Videokamera zur Hand bieten
sich auch eine Web-Cam und ein entsprechendes Aufnahmeprogramm an.
Wenn man eine Telefon FlatRate hat, kann man sich auch selber mit dem Mobiltelefon anrufen und das Telefon auf Laut stellen. Dadurch können wir wenigstens hören, was unser Hund in der
Trennungszeit macht. Hören wir nichts, ist das gar nicht so schlecht. Dabei sollte das Mikrofon des Mobiltelefons natürlich ausgeschaltet sein.
Das genaue Dokumentieren ermöglicht es, das Verhalten zu analysieren und – gemeinsam mit einer guten Hundetrainerin, einem Hundetrainer – einen sinnvollen Trainingsplan zu entwickeln mit dem Ziel, dem Hund effektiv helfen zu können.
Es kann zum Beispiel auch sein, dass sich der Hund nach dem Weggehen des Menschen ruhig hinlegt und döst oder schläft und durch einen Außenreiz – zum Beispiel eine Katze, die auf der Terrasse hin- und her flitzt - geweckt wird und anfängt zu bellen. Der Nachbar wird natürlich sagen, dass der Hund während der Abwesenheit der Bezugsperson gebellt hat. Das hat aber nichts mit Trennungsstress zu tun. Eine Dokumentation wie vorgängig beschrieben wird den eigentlichen Grund offenbaren. Denn das Bellverhalten im Zusammenhang mit dem Ärger über die Katze ist nicht dasselbe, wie wenn der Hund unter Trennungsstress leidet.
Trennungsproblematiken bearbeiten
Prinzip bei der Bearbeitung von Trennungsproblematiken: der Hund kann eine Bewältigungsstrategie, um mit der belastenden Situation umzugehen, lernen.
Lernen hat immer mit Informationszugewinn zu tun!
Der Hund muss die Abwesenheit der Bezugsperson durch eine andere, nicht mit dem Menschen verknüpfte Situation ausgleichen können, die ihn emotional stabilisiert. Entspannung wirkt
Stressreaktionen entgegen und ist somit eine gute Möglichkeit, trennungsbedingtes Stressverhalten zu minimieren.
Der Hund lernt während des Trainings, sich auch ohne die Bezugsperson zu entspannen. Dieses Zielverhalten muss extrem kleinschrittig aufgebaut werden. Der Mensch zieht sich dabei immer mehr
zurück bis er längere Zeit abwesend sein kann.
Während des Trainings ist es unabdingbar und absolut wichtig, dass der Hund nicht in Trennungssituationen gebracht wird, die
er nicht bewältigen kann. Das hat in der Regel einen schweren Rückschritt im Lernprozess zur Folge.
Bereits im Welpenalter kann man beginnen dem Hund zu vermitteln, dass die Aufmerksamkeit des Menschen eingeschränkt wird. Hilfreich ist die Ritualisierung und die Ankündigung durch ein Signal - Musik (immer die gleiche CD), Entspannungsdecke hinlegen, ein Wortsignal. Die Kleinen lernen meist sehr schnell, dass es Zeiten gibt, in denen keine Interaktionen mit dem Menschen möglich sind. Es macht Sinn, dem Hund in dieser Zeit einen Kauartikel oder ein Spielzeug anzubieten! Bei diesem Vorgehen ist der Mensch aber noch anwesend! Erst im weiteren Verlauf, wenn der Hund gelernt hat, mit dem Aufmerksamkeitsentzug der Bezugsperson umzugehen, verbringen wir die Zeit in einem anderen Raum oder trennen den Hund durch ein Sperrgitter von uns ab! Hat der Hund auch diesen Schritt, gelernt (die Nähe zum Menschen ist nicht immer möglich), können wir beginnen, das Haus zu verlassen und länger wegzubleiben.
Das Ziel ist, dass der Hund lernt, sich auch ohne die Bezugsperson wohl zu fühlen.
Ein Training kann durchaus unterschiedlich gestaltet werden, je nachdem wie die individuellen Gegebenheiten es verlangen. Ein gut ausgebildeter Verhaltensberater oder Hundetrainerin kann in diesem Prozess hilfreich unterstützen. Fachlich kompetente Ansprechpartner können unter http://www.cumcane-familiari.ch/zert-trainer-innen/ gefunden werden.
Trennungsstress kann sich jederzeit im Leben des Hundes entwickeln. Ein besonders empfindlicher Lebensabschnitt des Hundes ist die Zeit der Jugendwicklung. Da, wo der Welpe vielleicht schon
mehrere Stunden allein bleiben kann, kann sich dieses im Alter von 8-12 Monaten wieder ändern. In dieser Zeit ist der junge Hund deutlich stressanfälliger. Aber auch Krankheiten, Wohnungswechsel
und Veränderungen im sozialen Umfeld erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich Trennungsstress entwickelt. Ebenso muss im höheren Alter damit gerechnet werden, dass der langjährige Wegbegleiter
nicht mehr so gerne allein bleibt.
Trennungsbedingtes Stressverhalten ist komplex und oft nicht leicht zu erkennen. Viele Faktoren können ähnliche Symptome hervorrufen, ohne dass eine Trennungsproblematik besteht. Dieses muss im
Einzelfall individuell diagnostiziert und geprüft werden um dem Hund effektiv zu helfen. Im Zweifel sollte eine Fachperson (Verhaltensberatung) beigezogen werden, die in dieser
Thematik entsprechend kompetent ist.
© cumcane familiari/Gerd Schreiber