Jagdhunde - glücklich auch ohne Jagdschein?


von Judith-Selina Keller

Man muss keine Jägerin oder ein Jäger sein, um sein Herz an einen Jagdhund zu verlieren. Aber es ist eine Herausforderung, für das gemeinsame Glück ohne Jagdschein zu sorgen. Deshalb sollte sich ernsthaft prüfen, wer einen solchen Hund an sich bindet.

Alle Fotos: Claudia Schulte und Judith Keller
Alle Fotos: Claudia Schulte und Judith Keller

 

Sie sind schön. Sie sind dynamisch. Sie sind ausdauernd. Sie sind lernwillig. Dies sind nur einige der Gründe, weshalb immer häufiger Jagdhunde den Weg zu Nichtjägern finden. Lange war es ein Ding der Unmöglichkeit, ohne Jagdpatent an Weimaraner, Deutsch Kurzhaar und Co. zu kommen. Durch die Möglichkeiten des Internets hat sich dies jedoch verändert. Immer mehr Tierschutzorganisationen suchen Pflege-stellen und Lebensplätze für Jagdhunde aus dem südlichen Tierschutz.

Die Beschreibungen der Hunde klingen meist sehr vielversprechend: Sozialverträglich, menschfreundlich, aktiv, verschmust, freundlich… kurz der vermeintlich ideale Familienhund. All diese Attribute mögen ja durchaus zutreffen, doch daneben sind Jagdhunde vor allem anspruchsvoll und zeitintensiv in Bezug auf Training, Auslastung und Haltung im Alltag. Und sie bringen in ihrem genetischen Gepäck eine unterschiedlich stark ausgeprägte Jagdveranlagung mit. Viele der Jagdnasen die über den Tierschutz ein neues Zuhause suchen, wurden bereits jagdlich geführt und hatten entsprechende

Erfolge mit Wild. Viele der zu vermittelnden Hunde sind wildscharf. Das bedeutet, dass in ihrem Verhaltensrepertoire auch das Packen und Töten abgespielt werden – genetisch fest verankerte und durch entsprechende Lernerfahrungen etablierte Verhaltensweisen, welche sich nicht eliminieren lassen.

Ist es denn legitim, als Nichtjäger/in einen solchen Hund zu sich zu holen? Ja ist es, vorausgesetzt man hat sich vorab ehrlich und selbstkritisch Gedanken zu den folgenden Fragen gemacht und kann sie zugunsten des Hundes beantworten:

- Komme ich damit zurecht, einen Hund zu halten, den ich allenfalls mehrheitlich an der Schleppleine führen muss?

- Bin ich bereit, mir spezifisches Wissen anzueignen, um den individuellen Bedürfnissen dieser herausfordernden Hunde gerecht zu
   werden? 

- Bin ich motiviert und habe ich die finanziellen Mittel, um mich von einer Fachperson beraten und begleiten zu lassen?

- Habe ich im Alltag genügend Zeit, um mich mit dem Hund zu beschäftigen?

- Macht es mir Spass, Schleppfährten zu legen, Futterbeutel zu verstecken, mit Felldummies um mich zu schmeissen, mit Pfeife, Clicker
   und vollgepackter Schultertasche durch den Wald zu stiefeln?

- Kann ich damit leben, dass mein Hund in bestimmten Situationen einen Maulkorb tragen muss?

- Bin ich physisch in der Lage, einem Jagdhund angemessen Bewegung zu verschaffen?

- Halte ich Katzen oder andere Haustiere? Falls ja kann ich damit leben, dass die Anfangszeit sehr stressig werden kann und sie allenfalls
   räumlich getrennt voneinander leben müssen?

- Ist meine Wohnsituation für einen Jagdhund angemessen? Wohnen mitten im Katzen-Quartier oder neben einem Bauernhof mit
   Kleintieren kann für alle Beteiligten äusserst anstrengend werden…

 

- Habe ich mich mit den verschiedenen Jagdhundetypen und ihren spezifischen Verhaltenseigenschaften auseinandergesetzt? 

In den Augen vieler Jäger ist es ein No-Go einen Jagdhund zu führen, ohne dass er seine genetische Veranlagung auf der Jagd ausleben darf. Es gilt jedoch zu bedenken, dass die Hunde von Jägern auch nur sporadisch auf der Jagd geführt werden und zu 80% Familienhund sind. Ich stelle fest, dass Hunde in Nichtjägerhand oft genauso gut ausgelastet und bedürfnisgerecht beschäftigt sind, auch wenn ihnen der Teil der eigentlichen Jagd fehlt.

Unser Trainingsansatz und die «Werkzeugkiste der positiven Verstärkung» bieten sehr vielseitige Möglichkeiten, um jagdlich passionierte Hunde bedürfnisgerecht auszulasten und sie glücklich zu machen. Viele Jagdhunderassen wurden ausserdem auf Kooperation mit dem Menschen selektiert, was das Training in vielen Punkten vereinfacht.

 

Anbei ein paar Beispiele geeigneter Trainings-Werkzeuge:

- Markersignal

- Analyse der individuellen Jagdverhaltenskette

- Top 20 Liste

- Doppelter Rückpfiff bestehend aus Umorientierungs- und Ankersignal

- Arbeitspfiff

- Stoppen auf Distanz

 

- Lauerübung

- Kooperationssignal

- Leinenführigkeit über Stimulation

- Leinenendesignal

- Dreieckübung

- Nasen-, Kinn- und Pfotentouch

- Scannen

- Barrieremarkern

- Isometrische Übung 

Beim Jagdhund beliebte Beschäftigungen

- Alle Formen von Nasenarbeit wie Geruchsdiskriminierung, Fährten, Dummy-Suchen, Futter-Suchen, Mantrailing etc.

- Apportieren

- Trick- und Targettraining zur Aktivierung des Vorderhirns

- Schnüffelteppich bearbeiten

- Denkspiele für Zuhause

- Rennen

- Stöbern

- Buddeln

- Hetzen

- Schwimmen

- Umgebung scannen

- Warme Wildfährten verfolgen

 

Jagdhund ist nicht gleich Jagdhund! Es macht einen Unterschied, ob man sich für einen deutschen Jagdterrier, einen Vizsla oder einen Podenco entscheidet. Sie alle haben durch lange Zuchtselektion herbeigeführte Veranlagungen und Bedürfnisse, die sich stark unterscheiden können. Und diese können nicht eben mal wegtrainiert werden, wenn man diese nicht goutiert. Genetik ist jahrhundertealt und tief verwurzelt. Dies muss man sich ins Bewusstsein rufen, bevor man sich für den schönen Weimaraner entscheidet. Denn die Freude ist oft von kurzer Dauer, wenn derselbe die Grossmutter im Haus an die Wand stellt oder mit Nachbars Katze im Fang nach Hause kommt. Und so mancher Hundefreund ist wenig erfreut, wenn der Setter beim ersten Freilauf in einem Radius von mehreren hundert Metern die Umgebung erkundet und nur noch als unscharfer Umriss am Horizont auszumachen ist.

Aber man wächst ja bekanntlich an seinen Aufgaben und so mancher Jagdhunde-Adoptant wurde nach einem ersten Anfall von Verzweiflung ob seiner Wahl zu einem bekennenden Liebhaber dieser fantastischen Hunde. Wer bereit ist, sich auf das Abenteuer Jagdhund einzulassen, Zeit und Herzblut zu investieren, der wird mit einem loyalen, arbeitsfreudigen, lernwilligen, vielseitig talentierten, unternehmungslustigen, aktiven und im Hause meist sehr unauffälligen Begleiter belohnt.

 

Ich habe mir lange und intensiv Gedanken darüber gemacht, ob ich die Ausbildung zur Jägerin in Angriff nehmen soll. Um meine Kompetenzen in diesem Thema über den wertvollen Austausch und Wissenstransfer hinaus zu vertiefen, den ich mit den Jägern pflege, die immer wieder den Weg in meine Hundeschule finden. Schlussendlich habe ich mich aber dagegen entschieden, weil ich meinen Fokus auf die Begleitung der Jagdhunde richten möchte, die zur Jagd nicht einsetzbar sind und deshalb ihren Weg als Secondhand-Hunde zu Nichtjägern gefunden haben. Denn genau dort sehe ich noch viel Potenzial, diesen fantastischen und herausfordernden Hunden eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen. Durch Wissen, Verständnis und ein strukturiertes, kleinschrittiges und bedürfnisgerechtes Training. 

© cumcane familiari/Judith-Selina Keller