Vom Umgang mit schwierigen Hunden
Man nennt sie verhaltensauffällig, aggressiv, gefährlich oder auch "Problemhund". Sie sind anstrengend, kosten Nerven und sind so ziemlich das Gegenteil dessen, was man sich als Hundehalterin oder Hundehalter wünscht. Aber das kann durchaus noch aus ihnen werden - mit der richtigen Unterstützung. Ein Plädoyer von Gerd Schreiber für einen fairen und durchdachten Umgang mit schwierigen Hunden, der durch einen Verzicht auf Strafe umso effektiver ist.
Hunde verhalten sich nicht immer so wie der Mensch es sich vorstellt. Das führt oft zu diversen Einschränkungen des Menschen innerhalb seines sozialen Umfeldes. Besuch kann nicht mehr einfach so vorbeikommen, wenn der Hund sich den Besuchern gegenüber ablehnend verhält. Oder ein abendlicher Bummel durch die Innenstadt mit Partner, Kind und Hund wird zum Spiessrutenlauf. Wenn man Glück hat, findet man einen Weg, mit den unerwünschten Verhaltensweisen klar zu kommen oder sie gut zu managen. Wenn nicht, stösst man irgendwann an Grenzen.
Hundetrainer, Verhaltensberater, Tierpsychologen (oder wer auch immer sich gut mit Hunden auskennt, respektive meint, sich auszukennen) stehen einem gerne mit Rat und Tat zur Verfügung. Manchmal passt der Hund aber schlicht und ergreifend nicht in das für ihn vorgesehene Umfeld und er wird abgegeben. Landet er im Tierheim oder in einer anderen Tierschutzorganisation, dann durchläuft er allenfalls ein „Resozialisierungsprogramm“.
Die Idee ist gut: Ein Hund, der es bisher schwer im Leben hatte, soll auf ein neues Leben nach dem Tierheim vorbereitet werden. Die Frage stellt sich dann jedoch nach dem „Wie“: Wie wird er vorbereitet und wie wird mit ihm trainiert. Auch in diesen Fällen sollte mit Bedacht vorgegangen und das Problem systematisch ergründet werden.
Verhalten hat Funktionen
Die Bandbreite unerwünschter Verhaltensweisen kann sehr gross sein. Aber warum verhalten sich Hunde eigentlich manchmal so unangepasst? Jedes Individuum interagiert mit seiner Umwelt. Das Ziel dieser Interaktionen ist generell auf zweierlei ausgerichtet: Gutes bekommen und Schlechtes verhindern! Dies beschrieb schon 1911 Edward Lee Thorndike in seinem „Gesetz des Effekts“. Manchmal kann es aber sein, dass ein Tier – Mensch eingeschlossen – erst einmal unangenehme Dinge in Kauf nimmt, um dann etwas Gutes zu bekommen oder eben Schlechtes zu verhindern oder zu unterbrechen.
Im Hundetraining versuche ich immer möglichst einfache Erklärungen für Hundeverhalten zu finden. Wenn ein Verhalten trotz adäquatem Training und Management weiterhin gezeigt wird oder es sich sogar verstärkt zeigt, muss es eine Funktion haben – es lohnt sich für den Hund, wie und warum auch immer. Was wir also an dieser Stelle verändern müssen, um das Verhalten zu verändern, sind die Konsequenzen, die auf ein Verhalten folgen. Das ist möglich, weil es neben den Konsequenzen, die Verhalten verstärken auch Konsequenzen gibt, die ein Verhalten schwächen. Lerntheoretisch werden diese auch als strafende Konsequenzen bezeichnet.
Basierend auf der Lerntheorie sollte es also möglich sein, dass wir dem unerwünschten Verhalten eines Hundes etwas für ihn Unangenehmes oder Frustrierendes folgen lassen, und das Verhalten wird „weniger“ werden. Das setzt aber unter anderem voraus, dass diese Konsequenz im Hundegehirn auch mit der Strafe in Verbindung gebracht wird. Dazu müssen ein paar Regeln eingehalten werden: Die strafende Konsequenz muss immer auf das Zielverhalten folgen, sie muss in ausreichender Stärke erfolgen, darf aber auch nicht zu stark sein, ansonsten wird der Hund unnötig geängstigt und die Gefahr von ungewollten Folgewirkungen steigt immens. Des Weiteren muss die strafende Konsequenz unmittelbar auf das unerwünschte Verhalten folgen.
Dieses sind nur die wichtigsten Regeln, die eingehalten werden müssen, damit wir unerwünschtes Verhalten des Hundes durch für ihn unangenehme Konsequenzen tatsächlich vorhersagbar schwächen können.
Die Sache mit dem Stress und der Wahrnehmung
In stressenden Situationen schaltet das Gehirn eines Säugetieres auf Autopilot. Nach Walter Cannon wird die Stressreaktion auch „Kampf oder Flucht Reaktion“ genannt. Das Tier verhält sich so, wie es die Natur vorgesehen hat, um zu überleben. Willkürliches und bewusst gesteuertes Verhalten ist in diesem Zustand sehr schlecht ausführbar. Das kennt jeder, der schon einmal versucht hat, einem aufgeregten Hund ein „Sitzen“ abzuverlangen... meistens klappt das nicht oder nur schwer. In diesem Zustand wirken strafende Konsequenzen in der Regel nur sehr schlecht und nicht vorhersagbar, da der Hund quasi nicht anders kann, als sich so zu verhalten, wie er sich gerade verhält.
Erinnern Sie sich an die letzte Situation, in der Sie richtig gestresst waren oder Angst hatten: Waren Sie in dem Moment noch Herr oder Frau des eigenen Verhaltens oder passierte es einfach mit Ihnen, ohne dass Sie Ihre Reaktion gross beeinflussen konnten? Ich tippe mal auf Letzteres. Sich dann selbst zu sagen „hör auf damit und lerne aus dieser Konsequenz“ klappt nicht. Und selbst wenn Sie als Konsequenz richtig Ärger bekommen sollten, würden Sie sich das nächste Mal in einer ähnlichen Situation mit entsprechendem Auslöser wieder gleich verhalten. Es sei denn, Sie eruieren und verändern die Ursache Ihres Verhaltens. Eine auf Ihr unangemessenes Verhalten folgende unangenehme Interaktion würde Ihren Stress hingegen noch grösser machen. Ein Teufelskreis beginnt... Dieses Phänomen wird im Umgang mit unseren Hunden leider zu häufig vergessen.
Im besten Fall (für den Menschen) wird das Verhalten des Hundes lediglich gehemmt und unterdrückt. Wird der Druck von aussen jedoch weggenommen oder nicht aufrechterhalten, ist das unerwünschte Verhalten genauso wieder da, wenn nicht sogar in einem schlimmeren Ausmass. Über strafende Konsequenzen zu arbeiten ist nicht immer leicht und es bedarf einer sehr sorgfältigen Planung und Überwachung des Trainings. Vor allem auch, um die Nebenwirkungen, die aversive Reize mit sich bringen, frühzeitig zu erkennen und das Training entsprechend anzupassen. Es sollte daher gut überlegt werden, ob man das Risiko eines Vertrauensbruchs oder einer Verängstigung des Tieres in Kauf nehmen möchte oder lieber andere Trainings-Wege mit seinem Hund beschreitet.
Die andere Seite des Verhaltens
Verhalten wird also durch entsprechende Konsequenzen aufrechterhalten, gestärkt oder gehemmt. Es gibt aber noch andere Faktoren, die das Verhalten eines Hundes beeinflussten. Nämlich all das, was vor dem Verhalten passiert und dieses auslöst oder anderweitig beeinflusst. Diese Ereignisse werden in der Verhaltensanalyse auch Antezedenten oder Antezedensbedingungen genannt. Wir gehen davon aus, dass Verhalten immer durch bestimmte Umweltbedingungen ausgelöst wird. Verändern sich die Umweltbedingungen, ändert sich auch das Verhalten des Hundes.
Kleines Beispiel: Ein Hund bellt und zerrt an der Leine, wenn er einen anderen Hund erblickt und sich diesem bis auf 6 Meter nähert. Erst wenn diese beiden Bedingungen zusammen kommen, löst der Hund aus. Es wäre also möglich, das unerwünschte Verhalten nicht auftreten zu lassen, wenn wir anderen Hunden nur auf 8 Meter Entfernung begegnen würden. Voilá, Problem gelöst... wenn es denn so einfach wäre. Denn oft haben wir keine 8 Meter Platz.
Also schauen wir weiter: Wenn wir unseren Hund im richtigen Moment noch ansprechen und in ein Sitzen führen können, verändern wir ebenfalls die Umweltbedingungen. Unser Hund befindet sich in einer mit dem unerwünschten Verhalten inkompatiblen Position. Bingo! Aber auch das klappt nicht 100% zuverlässig, zumindest nicht am Anfang des Trainings.
Es kommen also noch andere Faktoren hinzu, die beachtet werden müssen.
Nämlich: Wie gut sind die erwünschten Verhaltensweisen etabliert? Wie gut wurden sie geübt und wie passend sind die Verstärker gewählt? Diese Alternativverhalten kann man gut in ruhiger, reizarmer Umgebung trainieren und dann mehr und mehr die Ablenkungen steigern. Dabei gilt, wir bauen kein Haus bei einem Erdbeben. Erst wenn das Haus auf einem robusten Fundament steht, hält es schwierigen Situationen stand!
Ausserdem: Wie ist der Erregungszustand des Hundes? Je aufgeregter der Hund ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er in unerwünschte Verhaltensweisen kippt. Es gilt also, den Erregungszustand möglichst niedrig zu halten. Wenn wir nach den ersten drei gelungenen Hundebegegnungen merken, dass es dem Hund immer schwerer fällt, ruhig zu bleiben, versuchen wir weitere Begegnungen zu verhindern.
Es gilt, den Hund auf Erfolgskurs zu setzen, die Umweltbedingungen so zu gestalten, dass er möglichst oft das Verhalten zeigen kann, was wir von ihm wollen. Nur so können sich neue Verhaltensweisen etablieren, welche die alten unerwünschten langsam aber stetig ablösen.
Die Sache mit dem Hintergrundstress
Viele Dinge im Leben eines Hundes belasten ihn, ohne dass wir es mitbekommen. Das kann der Baulärm sein, welchen die nahegelegene Baustelle verursacht. Die läufige Hündin, von der wir selber nichts mitbekommen, zu der unser Rüde aber gerne möchte. Es kann aber auch eine für den Hund unklare Kommunikation des Menschen sein. Versteht uns der Hund überhaupt? Dies für sich immer wieder kritisch zu prüfen macht Sinn. Denn auch unter Menschen ist eine unklare und missverständliche Kommunikation ein häufiger Auslöser von Streitigkeiten... und wir haben die Möglichkeit, miteinander zu sprechen. Was mit dem Hund nicht in gleichem Masse möglich ist.
Erwartungssicherheit spielt eine grosse Rolle. Sind wir berechenbar für unseren Hund? Unberechenbare Bezugspersonen sind ein Risikofaktor und stressen den Hund sehr. Rituale im Alltag helfen dem Menschen klarer und berechenbarer für seinen Hund zu sein.
Benutzen wir immer die gleichen Signale? Reagieren wir in bestimmten Situationen immer gleich oder wird der Hund heute geknuddelt und morgen harsch zurechtgewiesen, wenn er auf das Sofa hüpft?
Gesundheitliche Probleme
Eine weitere Ursache für Hintergrundstress darf nicht unerwähnt bleiben – die Gesundheit des Hundes. Fast alle Krankheiten und gesundheitlichen Probleme haben Auswirkungen auf das Verhalten. Selbst wenn wir Menschen leichte Kopfschmerzen verspüren, verändert sich unser Verhalten sofort... meist sind wir unter Schmerzen empfindlicher und leichter reizbar.
Also sollte ein Hund, der bezüglich seines Verhaltens viele „Baustellen“ hat, sorgfältig gesundheitlich überprüft und im Bedarfsfall entsprechend versorgt werden. Selbst wenn eine akute Erkrankung nicht diagnostiziert wird, sollten wir Schmerzen, Unwohlsein usw. nie ausschliessen und gegebenenfalls eine zweite Meinung einholen. Dabei gilt es zu bedenken, dass auch ein schlecht sitzendes Brustgeschirr, der Druck des Halsbandes auf dem Kehlkopf oder ein zu schwerer Karabiner auf der Wirbelsäule Unwohlsein begünstigen können. Der Hund kann uns leider nicht sagen, wo und wann er Beschwerden hat. Er ist auf unsere aufmerksame Beobachtung und unser verantwortungsvolles Handeln angewiesen.
Eine komplexe Geschichte
Wie wir sehen, müssen viele Faktoren beachtet werden, vor allem dann, wenn der Hund oft und viele unerwünschte Verhaltensweisen im Alltag zeigt. Einfach abstellen geht nicht. Einfache Lösungen sind selten und Ziel sollte es sein, dass der Hund lernen darf, was von ihm erwartet wird. Das braucht manchmal viel Geduld, Zeit und ein überlegtes Vorgehen.
James O´Heare beschreibt mit seinem LIEBI-Konzept, dass wir bemüht sein sollten, die am wenigsten störende und schadende, aber noch funktionierende Verhaltensintervention anzuwenden. Nach dieser Vorgehensweise, die z.B. auch Susan Friedman propagiert, stehen die Verbesserung der Gesundheit sowie die Verringerung des Hintergrundstresses an erster Stelle.
Danach geht es mit der – gegebenenfalls auch dauerhaften – Veränderung der Antezedenten weiter. Wenn dies ausreicht... prima, Problem gelöst. Wenn nicht, stehen als nächstes der Aufbau und das Etablieren von Alternativverhalten auf dem Programm. Erst im weiteren Verlauf werden Veränderungen der Konsequenzen für bestehende Verhaltensweisen ins Spiel gebracht. Als letztes werden, mit etlichen Wahrhinweisen versehen, aversive Reize in Erwägung gezogen.
Ich bin der Meinung, wir sind es unseren Hunden schuldig, mit ihnen so fair wie möglich umzugehen – auch wenn sie sich nicht immer so verhalten, wie wir es von ihnen erwarten. Wie heisst es so schön? Sie sind bereit, uns alles zu geben... sie aber haben nur uns. Unsere Hunde haben sich ihr Lebensumfeld nicht ausgesucht und wir Menschen sind in der Pflicht, ihnen das Leben und das Lernen so leicht und angenehm wie möglich zu machen.
Quellen
Don´t shoot the dog, Karen Pryor, 2002
Handbook of applied dog Behavior and Training Vol. 1, 2, 3 ; Stevan R. Lindsay
Clinical behavor medicine for dogs and cats, Karen Overall, 2013
Aggressive Behavior in Dogs, James O´Heare, 2007
The least intrusive effective behavior intervention (LIEBI) algorithm and levels of intrusiveness table: a proposed bestpractices model. Version 5.0, James O´Heare, 2013
Functional Assement, APDT Journal 09.2009, Susan G. Friedman, 2009
www.behaviorworks.org
Gerd Schreiber, Inhaber der Hundeschule Hund & Wir im Raum Lüneburg (D).
Im pädagogisch-kynologischen Leitungsteam von cumcane familiari hat er folgende Funktionen:
- Fachverantwortung in den Seminaren Kynologie Vorbereitung und Kynologie Vertiefung in der Basisfachausbildung sowie im Vorbereitungsseminar Aufbaulehrgang Verhaltens-beratung.
- Lerncoach und Praxisberater in der Basisfachausbildung und im Aufbaulehrgang Verhaltensberatung.
- Prüfungsexperte bei den Zertifizierungsgesprächen Basisfachausbildung
Kommentar schreiben