Mag Ihr Hund Nelken?
Wir haben das alle schon einmal erlebt. Da widmen wir uns auf Anfrage netterweise einer wirklich schwierigen oder ungeliebten Aufgabe, für die wir eigentlich gar nicht zuständig sind - und es gibt als Lohn für den Einsatz ein paar Blümchen. Nelken. Und wir mögen Nelken nicht. Ziemlich sicher haben wir gerade Besseres vor, wenn wir das nächste Mal gefragt werden. Unser Hund "tickt" da ganz ähnlich. Wollen wir, dass unser Hund zuverlässig ein gewünschtes Verhalten zeigt, dann sollten wir besser wissen, ob er Nelken mag - die Belohnung also seinen Bedürfnissen entspricht. Zu denen zu einem späteren Zeitpunkt in seinem Leben übrigens Nelken gehören können. Denn Bedürfnisse ändern sich mit dem Älterwerden. Aber woran erkennen wir seine Bedürfnisse? Und wie bleiben wir auf dem Laufenden, wie sie sich verändert haben? Mit der Top20-Liste. Für Katja Schäfer von "tierisch menschlich!" ist diese Liste aber vor allem im Zusammenleben mit einem kranken oder alten Hund ein wertvolles und hilfreiches Werkzeug.
Bevor wir uns mit der Veränderung von Bedürfnissen im Laufe eines Hundelebens beschäftigen, in aller Kürze eine kleine Einleitung, die sich dem Begriff "Bedürfnis" und seinem Verständnis widmet. Über die Bedürfnisse des Hundes verbinden sich Motivation und Belohnung. Motivation ist eine Funktion von Bedürfnissen, die über das im Augenblick gezeigte Verhalten an die Oberfläche gebracht. Mit anderen Worten: durch sein Verhalten zeigt uns der Hund, was er gerne möchte. Ein Verhalten hat also immer eine Funktion und die Motivation - das Bedürfnis - ist die treibende Kraft.
Bedürfnisse sind dynamisch, sie verändern sich im Lauf eines Lebens, also mit den Jahren, manchmal auch durch Ereignisse wie zum Beispiel während einer Krankheit oder nach einem Unfall. Selten
fallen sie ganz weg, meistens ändern sich ihre Intensität oder Häufigkeit. Für einen Hund sind folgende Bedürfnisse kennzeichnend:
1. Grundbedürfnisse:
✦ Fressen und trinken
✦ Schlafphasen und Beschäftigung
✦ Bewegung, sowohl körperlich wie auch mental („Kopfarbeit“, Tricks, Suchaufgaben, Futterpuzzles)
✦ Spielen
✦ Pflege
✦ tierärztliche Versorgung
✦ Hund sein dürfen
2. Sicherheitsbedürfnisse:
✦ Ruhezonen (Rückzugsorte mit bzw. Schlafplätzen)
✦ Gewohnheiten und Rituale
✦ sicheres Umfeld
✦ körperliche Unversehrtheit
✦ zuverlässige Bezugspersonen
✦ Geborgenheit
3. Soziale Bedürfnisse:
✦ Familie / Bezugsperson
✦ Kontakt zu Artgenossen
✦ Körperkontakt, sofern der Hund Körperkontakt kennt und möchte
✦ Geborgenheit und geliebt werden
Doch wie können wir dieses Wissen in unserem Alltag mit unserem Hund umsetzen? Vor allem, wenn wir seinen veränderten Bedürfnissen gerecht werden wollen? Es ist relativ einfach: indem wir ihn in
seinem Verhalten beobachten. Indem Verhalten in seiner Häufigkeit, Dauer und Intensität messbar ist, sind auch die Bedürfnisse und deren Motivationen messbar.
Ein ebenso simples wie effektives Mittel Verhalten zu dokumentieren ist die sogenannte Top20-Liste, kurz: Top20. Die Top20 beinhaltet die 20 Lieblingstätigkeiten eines Hundes, beantwortet also
die Frage, was ein Hund gern macht. Socken zerfetzen? Zeitung schreddern? Ballspiele? Fressen? Schwimmen? Sich im Schlamm wälzen?
Diese Liste ist so individuell wie unsere Hunde und für unser Zusammenleben mit ihnen deshalb so wichtig, weil wir aus ihnen zeitnah die passenden Belohnungen zum aktuell gezeigten Bedürfnis des Hundes ableiten können. Und das wiederum ist eine wichtige Hilfe für die optimale Verstärkung erwünschten Verhaltens. Beispiel: Ein Hund möchte in einem bestimmten Augenblick gerne in den Teich springen und schwimmen. Er läuft locker an der Leine, dafür wird er belohnt, indem er in den Teich springen darf.
Die Top20 hilft uns auch, die Veränderung der Bedürfnisses eines Hundes zu erkennen. Daraus können auch Zusammenhänge mit Krankheiten oder einfach das Älterwerden gesehen werden. Es ist ein sehr nützliches Werkzeug für unsere Seniorenhunde.
Ich durfte dreieinhalb Jahre mit Yannuk leben, meinem Collie-Mix-Buben aus Spanien. Er war etwa neun Jahre jung als er zu uns kam. Unsere erste Top20 kam erst ein halbes Jahr später zum Einsatz, als ich im August 2013 meine Ausbildung als CumCane-Hundetrainerin bei Dr. Ute Blaschke-Berthold und Dieter Degen begann, während der ich dieses Werkzeug kennen-, nutzen und wertschätzen lernte. Aufgrund Yannuks Alter und seiner Lupus Erkrankung [1] mit ihren unvorhersehbaren Schüben bekam die Top20 eine besondere Bedeutung. Seine Schübe machten sich unter anderem auch an seinem Bewegungsapparat bemerkbar, so dass sich sein Bedürfnis nach Bewegung mit der Zeit offensichtlich und stetig veränderte und weniger wurde. Durch ein Update der Top20 nach einer gewissen Zeit hatten wir eine Art „Vorhersage“ für eventuelle alters- und krankheitsbedingte körperliche Einschränkungen.
Unten sehen wir ein Beispiel für einen Vergleich zwischen zwei Top20s von Yannuk: bei der Liste vom 14.08.13 handelt es sich um Yannuks erste Top20 überhaupt. Zweidreiviertel Jahre später ist die Top20 auf der rechten Seite entstanden, es war seine letzte. Dazwischen gab es einige andere. Wenn man Yannuks erste und letzte Belohnungsliste vergleicht, dann erkennt man deutlich, wie sich die Bedürfnisse dezimiert haben, die mit sehr viel Bewegungen verbunden sind. Hingegen wurden die Bedürfnisse im Zusammenhang mit ruhigen Bewegungen zahlreicher und nahmen den Platz der bewegungsintensiven Bedürfnisse ein. Durch diese Veränderungen haben wir das Zusammenspiel von Lupus-Erkrankung und Älterwerden bemerkt.
Nun möchte ich zwei weitere Top20s im Vergleich vorstellen, dieses Mal von meiner Hündin Chi, einem neunjährigem Labi-Mix-Mädchen aus Spanien. Sie ist seit drei Monaten bei mir. Ihre erste Top20 hatte ich ungefähr einen Monat nach ihrer Ankunft bei mir erstellt.
Chis zweite Top20 notierte ich circa. sechs Wochen später, nachdem Chi immer mehr „angekommen war“ und neues Verhalten zeigte.
In Chis Fall nutze ich aktuell ihre Top20 um zu beobachten, welche Verhaltensweisen (Bedürfnisse) neu erscheinen, und wie sich bestehende verlagern. Diese Top20 ist eine nützliche Datensammlung ihrer jeweils aktuellen Bedürfnisse, die sich im Laufe der Zeit verändern werden. Anhand von Vergleichen mit früheren Top20 lassen sich dann eventuell Trends ablesen, also in welche Richtung sich Chis Bedürfnisse mit zunehmendem Alter entwickeln.
Zum Beispiel ist Chi aktuell eine für ihr Alter sehr bewegungsaktive und -freudige Hündin. Wenn sich diese bewegungsintensiven Aktivitäten verändern, können wir zum Beispiel unser Augenmerk auf ihren Bewegungsapparat legen, ihn also frühzeitig beobachten und nötigenfalls medizinisch und therapeutisch betreuen lassen. Gleichzeitig nutze ich natürlich ihre jeweils aktuellen „Hobbys“ um Chi in unserem gemeinsamen Alltag bedürfnisgerecht und damit wirksam zu belohnen.
Wir sind jedenfalls gespannt, welche neuen „Hobbys“ hinzukommen werden. Vermutlich gilt bei Hunden wie bei uns Menschen: Je oller, je doller!
[1] Lupus Erythematodes ist eine Autoimmunerkrankung, die auch bei Menschen auftreten kann. Bei dieser Art der Erkrankung bildet der Körper Abwehrzellen, die sich gegen die eigenen Körpergewebe richten. D.h. der Körper reagiert allergisch gegen sich selbst.
Die Symptome beim Hund findet man häufig im Bewegungsapparat und die Haut kann ebenfalls betroffen sein. Lahmheit, geschwollene Gelenke und schmerzhafte Muskelentzündungen werden vielfach von Hautrötungen, Blasen, Pusteln, Krusten und Haarausfall begleitet. Organe können ebenfalls von dieser Krankheit betroffen sein. Die Behandlung dieser Krankheit erfolgt ein Hundelebenlang, da diese Krankheit nicht heilbar ist und in unvorhersehbaren Schüben in Erscheinung tritt. Bei unserem Yannuk haben wir sein Immunsystem „heruntergedrosselt“. D.h. wir haben die überschießende Abwehrreaktion seines Körpers so gut wie möglich unterdrückt.
Quelle: Lupus-Erkrankung http://www.eurotierklinik.es/antworten.php?id=37
Katja Schäfer ist Mit-Inhaberin der Hundeschule und Praxis für Verhaltentherapie tierisch menschlich! im nordrhein-westfälischen Wenden.
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