Was bleibt, wenn sie gehen ...
Es ist der Moment, dem wir wohl alle mit Bangen entgegensehen, vor allem dann, wenn wir unseren Seelenhund ziehen lassen müssen. Unseren "Einmal im Leben"-Hund, wie Carmen Trautmann ihre Kessy nennt. Vor mittlerweile fünf Jahren hat Kessy "die Räume gewechselt", und Carmen hat sie seinerzeit mit einer kleinen Hommage verabschiedet. Rückblickend erzählt sie, warum der Abschied damals auch ein Anfang war und wie Kessy heute das Zusammenleben mit ihrer Hündin Charis beeinflusst.
Kessy hat die Räume gewechselt.
Ich bin unendlich traurig, sie nicht mehr in dieser Welt neben mir zu haben. Ich bin unsagbar dankbar, sie so lange an meiner Seite gehabt zu haben.
Ich bin unbeschreiblich froh zu wissen, dass sie nun wieder zusammen mit Charly ist … endlich … dort drüben, wo wir alle irgendwann wieder miteinander vereint sein werden.
Totgesagte leben länger!
Wenn dieser Spruch auf einen Hund zutrifft, dann wohl auf Kessy! Schon seit Jahren haben wir uns von ihr verabschiedet … immer wieder und immer ein Stückchen mehr … und schöpften dann wieder Hoffnung.
Die letzten Jahre haben ihr so Einiges abverlangt. Aber immer wieder hat sich unsere Omi aufgerappelt und uns damit sprachlos gemacht.
Sie hatte einen schier unerschöpflichen Lebenswillen. Bis zuletzt hat Kessy eisern festgehalten am Hier und Jetzt. Damit hat sie es sich und uns nicht leicht gemacht, gerade in den letzten Wochen.
Mein Herz hat sich gewehrt: Nein, das darf nicht sein! Wie soll es denn ohne sie gehen?
Aber andererseits:
Kessy hatte ein gutes Leben, ein erfülltes. Sie hatte eine gute Jugend, die wir teils noch mit ihr erleben durften. Sie hatte sogar einmal Babies, von denen wir erst viel später erfuhren. Wüst war sie, ungestüm und manchmal kaum zu bändigen. Alles wollte sie … immer … und zwar sofort … auf einmal! Sie hat uns in den ersten Jahren viele Nerven gekostet … und dabei so viel Zuneigung und Erfahrungen geschenkt, die uns alles andere vergessen ließen.
Souverän hat sie uns bei der Erziehung unserer beiden Jungs geholfen. Sie war Charly und Merlin die beste (Ersatz-)Mutter, Spielkameradin, Beschützerin, Partnerin, Chefin und so vieles mehr, die sie je hätten haben können.
Kessy hatte vieles von ihrer Mutter Shiva: den untrüglichen Sinn für Fairness, die Souveränität in (fast Beschreibung: -)) allen Lebenslagen, das gesunde Selbstbewusstsein, die absolute Zuverlässigkeit. Sie hat sich uns damals in kürzester Zeit bedingungslos angeschlossen und fortan überall hin begleitet … ob zu Fuß, am Rad oder im Auto.
Egal wohin – Hauptsache dabei!
Sie liebte alle und jeden. Wenn einmal nicht, dann war uns dies Grund genug, demjenigen zu misstrauen, aber niemals ihr. Zu sicher war sie in ihrem Urteil.
Mit ihr bin ich sogar ein paar Mal nachts alleine spazieren gegangen und fühlte mich an ihrer Seite bestens beschützt. Sie hätte mich ohne Zweifel bis in den Tod verteidigt. In ihren alten Tagen habe ich allerdings oft das Gefühl gehabt, sie vor der Welt beschützen und verteidigen zu müssen … vor allzu rempeligen Junghunden oder unverständigen Mitmenschen. Ähnlich wie ein Welpe weckte sie mit ihrem steifen Wackelgang in mir den Beschützerinstinkt.
In den letzten Monaten nervte mich ihr langsames Dahinschleichen, ihr ewiges Verharren an jeder Duftnote und das endlose ‚in sich selbst hineinhorchen‘ – ich gebe es zu. Schließlich heißt es Spazierengehen und nicht Spazierenstehen!
Dann musste ich wieder schmunzeln: Wie werde ich wohl gehen, wenn ich einmal so alt bin? Wie werde ich die Welt dann noch wahrnehmen? Ich bezweifle, dass ich überhaupt vergleichbar alt werde. Also beruhigte ich mich wieder und genoss die Zeit mit meiner Ollen, so gut es ging … solange es ihr dabei gut ging!
Sie war so ein wunderbarer Hund. So klar, so offen. Auch in ihrem wahrlich biblischen Alter war sie noch beeindruckend. Diese Präsenz musste man erlebt haben.
Wir waren uns einig, dass der Tag der Entscheidung der wäre, an dem Kessy nicht mehr aufstehen kann. Für uns war klar, dass sie dann beschlossen hat, dass es reicht … dieses volle … Leben. Sie hat wirklich reichlich davon gehabt: 16 Jahre, 4 Monate und 2 Tage!
Von tiefstem Herzen hatten wir uns für Kessy gewünscht, dass sie eines Tages einfach aus ihrem letzten Traum nicht mehr aufwachen würde. Dass sie sich hinträumen würde zu Charly und zu Ona, die uns seinerzeit zu Kessy führte, so wie Kessy uns zweifellos eines Tages zu ihrer Nachfolgerin führen wird …
Nun wird unser Leben ohne Kessy weitergehen müssen. Sie wird immer bei uns sein, in unseren Herzen.
Carmen, es ist jetzt fünf Jahre her, dass du Kessy verabschiedet hast. Woran erinnerst du dich vor allem, wenn du heute an sie denkst?
Ich erinnere mich an die wüsten ersten drei Jahre, in denen sie mich oft mit ihrem Temperament und ihrer Jagerei zur Weissglut brachte. Und dann erinnere ich mich an ihre grossartige Souveränität und an die letzten zwei bis drei Jahre, an unsere unglaublich intensiven und friedvollen Momente, in denen sie 'mit mir sprach'.
Wie kam Kessy eigentlich zu euch?
Wir fanden sie eine Woche nach dem Tod unserer ersten Hündin über eine Anzeige in einer Zeitung. Die Leute, die sie als Welpen übernommen hatten, hatten wohl keine Lust mehr auf sie.
Was machte die Zeit mit Kessy zu einer – wie du schreibst – Ära?
Das in Worte zu fassen, ist schwierig. Kessy war für mich ein 'Nur einmal im Leben'-Hund. Sie hatte eine kaum zu beschreibende Ausstrahlung. Es gab wohl niemanden, den sie nicht direkt beim ersten Anblick in ihren Bann zog. Sie hatte wohl das, was ihre Züchterin ihr schon mit ihrem eigentlichen Namen 'Charis' bescheinigt hatte: Charisma!
Du schreibst, dass ihr euch lange vor ihrem Tod 'seit Jahren' immer wieder von ihr verabschiedet hattet ... Warum?
Kessy ist sehr alt geworden. Mit circa zehn Jahren kamen die ersten Zipperlein, mit etwa 12 der erste Schub des geriatrischen Vestibularsyndroms, also einer altersbedingten Störung des Gleichgewichtsorgans. Damals dachten wir zum ersten Mal, nun wäre es soweit. Sie hat noch vier weitere Schübe erstaunlich gut überstanden. Sie wurde insgesamt dreimal an einer Wucherung am rechten Vorderlauf operiert. Das letzte Mal mit 14 Jahren! Bei jeder Narkose haben wir uns im Geist von ihr verabschiedet, denn es wurde ja nicht leichter für sie. Jedes Mal brauchte sie länger, um sich davon zu erholen. Ab 14 wurde uns definitiv bewusst, dass ihre Zeit langsam zur Neige geht. Sie begann in dieser Zeit oft so tief zu schlafen, dass ihre Atemfrequenz sehr niedrig war. Eines Morgens war ich überzeugt, dass Kessy in der Nacht von uns gegangen wäre. Ich sprach sie an, berührte sie, fing an zu heulen, weil keinerlei Reaktion kam ... dann kam ein tiefer Stossseufzer und Kessy öffnete ihre Augen mit einem sehr entfernten tüddeligen Blick! Wir konnten immerhin noch zwei gute Jahre für sie "raus schinden".
Was hat euch nach 16 Jahren, 4 Monaten und 2 Tagen gesagt, dass der Moment gekommen war, in dem Kessy 'in die anderen Räume' wechseln wollte ...
Bei Kessy wurden mit ca. 10 Jahren die ersten Spondylosen diagnostiziert. Sie wurde speziell in den letzten zwei Jahren dadurch immer steifer. In den letzten zwei Monaten hatten wir mehrfach Momente, in denen ich ihr schnell zur Hilfe eilen und sie hochhieven musste, weil sie von alleine nicht hochkam. Das waren schreckliche Momente für mich ... und offenbar auch für Kessy. Unsere allererste Hündin ist in einem entsetzlichen Spondyloseschub gestorben, weil sie ihre Schmerzen beim Anblick des Tierarztes immer unterdrückte und der uns deshalb für 'Simulanten' hielt bzw. meinte, wir wollten den Hund nur loswerden ... bis dann an ihrem letzten Tag der Arzt auf mein Drängen zu uns nach Hause kam und vollkommen erschüttert erkannte, was Sache war. Ich wollte Kessy definitiv nicht auch in solch einem Schub auf die Reise schicken und hatte deshalb nach dem letzten Hochhieven beschlossen, dass sie am darauffolgenden Freitag auf die Reise gehen sollte, wenn es ihr gut geht. Wir hatten noch einen wunderschönen, sonnigen Spaziergang miteinander.
Die Entscheidung war richtig. Ich hatte mich auf einen Kampf eingerichtet, weil Kessy bis zuletzt wirklich arg am Leben hing, aber als die Ärztin kam, war sie bereit und ist vollkommen entspannt eingeschlafen.
Kessy war nicht die erste Hündin, von der du dich verabschieden musstest. Sind diese Abschiede trotz des Schmerzes und der Trauer jedes Mal auch immer anders?
Jeder Abschied war für mich anders. Die Beziehungen zu den Hunden waren recht unterschiedlich. Nicht besser oder schlechter, auch nicht wirklich intensiver oder oberflächlicher, aber jeder Hund hatte seinen ganz eigenen Charakter. Zwei Hunde musste ich unter recht dramatischen Umständen als Notfall gehen lassen. Einen Hund haben wir relativ spontan verabschiedet, weil er uns innerhalb weniger Stunden sagte, dass die Zeit gekommen sei. Bei Kessy habe ich meinen Verstand entscheiden lassen, denn ich wusste, dass Kessy nicht so einfach loslassen würde.
Hast du von Kessy etwas über das Abschiednehmen gelernt?
Auf das Risiko hin, dass ich jetzt als vollkommene Spinnerin angeguckt werde: Sie hat mich gelehrt, dass der Abschied nicht das Ende ist. Sie hat noch über viele Monate hinweg mit mir gesprochen. Sie hat mich zu Charis geführt. Jeder Abschied ist ein neuer Anfang!
Was glaubst du, warum hat Kessy ausgerechnet Charis für euch ausgesucht?
Ganz sicher hatte sie beschlossen, dass ich noch viel zu lernen hätte und dass mir so ein Wirbelwind guttäte. Ich glaube, sie wollte mir die Chance geben, eine Hündin in ähnlichem Alter mit ähnlich stürmischem Charakter und vergleichbarer jagdlicher Passion ein endgültiges Heim zu geben und an ihr all die Fehler gutzumachen, die ich in meiner Unwissenheit und Überforderung seinerzeit bei ihr gemacht habe. Charis vereint auf einmalige Weise die Charaktere unserer früheren 3er-Gruppe. Das war und ist wohl unser Schicksal!
Inwiefern beeinflusst Kessy deinen Umgang mit Charis, was hat sie dir beigebracht?
Charis hat von uns bewusst Kessys Züchternamen erhalten. Sie hat zwar bei aller Zuneigung beileibe nicht das Charisma, über das Kessy verfügte, aber in vielen Dingen ist sie ihr doch recht ähnlich. Kessy hat mich Langmut gelehrt. Sie hat mich gelehrt, mich selbst zu mässigen, mich besser zu kontrollieren und mich an den schönen Momenten mit Charis zu erfreuen, mich auf diese schönen Momente zu konzentrieren. Das war ein langer, harter Weg für mich. Er wäre ohne Kessy sicher nicht in Gang gekommen.
Wie hat sich dein Erinnern an Kessy über die Jahre verändert?
Man blendet natürlich in der Erinnerung die anstrengenden Momente immer mehr aus. Aber ich bin mir ihrer noch sehr bewusst. Ich weiss gar nicht, ob sich mein Denken an sie wirklich verändert hat. Doch, vielleicht in der Form, dass ich von Jahr zu Jahr immer dankbarer bin, dass ich sie an meiner Seite haben und so unglaublich viel von ihr lernen durfte. So ein Glück hat nicht jeder.
Ja, das erfüllt mich mit unglaublicher Wärme!
Carmen Trautmann, Hundetrainerin und Inhaberin von Hunterbunt im nordrhein-westfälischen Wegberg
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Mein Hund heisst Charis.
- Mein Motto im Umgang mit Hunden: So konsequent nett wie irgend möglich.
- Der Titel des Films, in dem alle meine Hunde die Hauptrolle gespielt hätten, hätte den Titel "Die drei Musketiere".
- Mein Lieblingsbuch zum Thema Hund: Ich habe ganz ehrlich keins. Aber wenn es eines gibt, das ich immer wieder gern empfehle, dann "Der hyperaktive Hund" von Maria Hense.
- Was ich an meinen Hunden besonders liebe: Ihr Leben im Hier und Jetzt.
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Mein erster Hund war Ona, eine ungewöhnlich grosse Deutsche Schäferhündin, die vom Schutz- und Wachdienst ausgemustert zu uns kam.
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Esther (Montag, 02 Mai 2016 17:27)
Das ist so wunderschön geschrieben! Du schreibst mir aus dem Herzen!
Danke Carmen!
Katja (Montag, 09 Mai 2016)
Wow, Carmen. Es geht richtig tief unter die Haut und es ist Gänsehaut pur. Weil Du wunderschön geschrieben hast.
Ich danke Dir, daß Du uns daran teilnehmen lässt. Und es stimmt. Jeder Abschied ist ein neuer Anfang.
Fühl Dich lieb umarmt.