Training zum Glück
Viele Halter fühlen sich mit Alphawurf, Leinenruck und dem Umgang mit ihrem Hund "nach alter Schule" nicht wirklich wohl. Doch was tun, wenn der Trainer sagt: "Das muss man so machen, sonst wird der Hund dominant"? Anja Kiefer hat trotzdem auf ihr Bauchgefühl gehört und sich auf die Suche nach einer gewaltfreien Alternative gemacht. Und sie in der positiven Verstärkung gefunden. Eine Trainingsmethode, die für sie allerdings einen Nachteil hat.
Eine Frau steht auf dem Feld, vor ihr ein Hund. Man hört nur ein „To, to, to, to“ und sieht, dass der Hund auf dem Boden schnuppert. Nach weiteren „To, to, to“s dann ein hoch erfreutes „TOP“ ergänzt um ein „Uuiiii, feine Maus, das hast Du super gemacht“. Der Hund bringt währenddessen stolz eine Gummiente zu seinem Frauchen. Das Frauchen bin ich und der Hund ist meine Milli-Mi. Was wir dort machen nennt sich „intermediäre Brücke“ und ist ein Hilfsmittel aus der Werkzeugkiste der positiven Verstärkung. Von Beginn dieser Art des Trainings bis hin zu dieser selbstverständlichen Benutzung der unterschiedlichsten Hilfsmittel aus besagter Werkzeugkiste sind nunmehr über zwölf Jahre vergangen. Der Weg dorthin begann noch viel früher und an einem ganz anderen Punkt.
Im Jahr 2001 zog unsere erste Deutsche Dogge „Camelot“ bei meinen Mann und mir ein. Dass ich eine Hundeschule besuchen würde, war klar, denn so ein grosser Hund „der muss ja parieren“, so die Aussage des Züchters. Ein paar entsprechende Tipps in Sachen Erziehung wurden uns dann auch noch mit auf den Weg gegeben. Dazu gehörte natürlich: „Der Hund darf nicht vor dem Menschen durch die Türe gehen und auch nicht auf der Couch liegen, sonst wird er dominant“. Und: „Der gehört auch mal auf den Rücken geschmissen, damit er weiss, wer das Sagen hat“.
Also auf zur Hundeschule vor Ort. In den Junghundekurs. Obwohl Camelot gerade mal 12 Wochen alt war. Aber „für die Welpengruppe ist er ja schon viel zu gross“, lautete die Begründung. Dass das Sensibelchen – wie ich heute weiss – in der Junghundegruppe völlig überfordert war und sich hilfesuchend zwischen meine Beine setzte, das schien niemandem aufzufallen. Und mir kam gar nicht in den Sinn, dass ein Hund Schutz braucht, wenn er doch mit seinesgleichen spielen kann. Spielen macht doch Spass!
Nach der Junghundegruppe ging es dann in den „normalen“ Erziehungskurs. Was halt damals so als „normal“ galt: Halsband drauf und fester Leinenruck. Wenn der Hund nicht sofort gehorchte, wurde er bestraft – so die Regel. Nun war Camelot zum Glück ein sehr ruhiger und lernfreudiger Rüde, ihn zu bestrafen war nicht notwendig, denn er begriff schnell. Als ich das dem Züchter erzählte, war der alles andere als begeistert: „Wie soll er denn dann wissen, wer der Chef ist? Du musst ihn halt absichtlich dazu verleiten, einen Fehler zu machen, damit du ihm zeigen kannst, dass du ihm Grenzen setzt. Wenn du ihm das nicht klar machst, wirst du grosse Probleme bekommen, wenn der erst mal ausgewachsen ist.“ Ein überzeugendes Argument, denn wer will schon ein 85 Kilo schweres Problem an der Leine haben? Eben. Noch heute, 14 Jahre später, lässt es mir keine Ruhe, dass ich meinen Camelot damals absichtlich zu einem Fehlverhalten verleitet und ihn anschliessend dafür bestraft habe. Dass aus ihm trotzdem ein umgänglicher, problemloser Hund wurde, hatte nichts mit der Erziehungsmethode zu tun, sondern nur mit meinem Glück, in ihm einen besonnenen, ausgeglichenen Vierbeiner zu haben.
Nachdem Camelot gut zwei Jahr alt war, kam seine Wurfschwester Kira zu uns. Wir waren die fünften Besitzer, und Kira war das genaue Gegenteil von Camelot. Sie „hasste“ alle Hunde, die kleiner waren als sie – und das waren die meisten. Da unsere Hundeschule „mit so einem Hund“ nichts anfangen konnte, suchten wir eine neue. Der Trainer, der uns daraufhin Zuhause besuchte, war gelinde gesagt entsetzt, dass unsere Hunde nicht im Zwinger gehalten wurden, sie auf die Couch und ins Bett und sich überall im Haus ihre Liegeplätze aussuchen durften. Kein Wunder, befand der Trainer, hatten wir Kira nicht im Griff. Wir sollten ab sofort die Hunde auf die von uns zugewiesenen Liegeplätze verbannen und vor allem Kira mit Nichtachtung strafen: „Der Hund ist Luft für Sie.“ Wir haben uns das alles angehört – und sind zu dem Entschluss gekommen: Das machen wir auf gar keinen Fall. Kira war eine Seele von Hund und so menschenbezogen, sie wäre daran zugrunde gegangen.
Im Februar 2004 brachte Kira acht Welpen zur Welt, sechs von ihnen zogen nach 12 Wochen in ein neues Zuhause. Nachdem nun wieder Ruhe ins Haus eingekehrt war, wollte ich sowohl mit den beiden übrigen Jungspunden Amber und Anakin als auch mit Kira und Camelot unbedingt „arbeiten“. Nur: Ein Training nach alter Schule kam für mich nach meinen bis dahin gemachten Erfahrungen nicht mehr in Frage. Was aber war die Alternative? Ich hörte mich um, fragte nach, konsultierte das Internet, aber es dauerte eine Weile bis ich die Antwort hatte. Dank einer Bekannten, die mir CumCane empfahl. Die auf der Homepage vorgestellte Methode sprach mich so an, dass ich sofort einen Gesprächstermin vereinbarte, zu dem mich die inzwischen acht Monate alte Amber begleitete.
Dieses Treffen wurde zum Wendepunkt: Ab sofort gingen unsere Hunde nicht mehr am Halsband sondern am Geschirr und wir nicht mehr ohne Futterbeutel auf den Spaziergang. Dass wir in der Ortsgruppe wegen der Brustgeschirre als die „mit den Schlittenhunden“ belächelt wurden, war uns vollkommen egal. Denn wir hatten dank der positiven Verstärkung endlich eine Trainingsmethode gefunden, mit der sich Mensch und Hund wohlfühlten, und dank der wir uns mittels Clicker und Markerwort erfolgreich verständigen und entspannt miteinander bewegen konnten. Es war ein Traum.
Das Training ging mir sehr schnell in Fleisch und Blut über, wie man so schön sagt. Man muss auch gar nicht mehr darüber nachdenken, was man wie machen muss. Man tut es einfach. Es ist wie Autofahren, kann man es einmal, muss man auch nicht mehr überlegen, welchen Gang man einlegt, man fährt einfach und geniesst. Ein weiterer Pluspunkt dieser Art des Trainings: ein Hund kann sofort damit beginnen – egal wie alt er ist. War Amber gerade mal acht Monate jung, so waren Kira und Camelot schon drei Jahre alt. Es ist auch völlig egal, was ein Hund bisher im Leben erfahren hat, er wird nicht mit überhöhten Erwartungen und unrealistischen Zielen überfordert, sondern dort abgeholt, wo er sich gerade befindet. Dieses auf die individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Hundes abgestimmte Training erlaubt viele kleinschrittige, sichtbare Erfolge, macht dem Hund Spass und gibt ihm eine nicht zu unterschätzende Sicherheit. Ich bin überzeugt, dass diese Art des Trainings unseren Hunden auch das notwendige Vertrauen gab, Veränderungen in der Gruppe problemlos zu akzeptieren, zum Beispiel, wenn ein Hund starb und ein neues Mitglied hinzukam. Unsere Milli-Mi, ein Mischlingsmädchen, stiess mit zweieinhalb Jahren aus dem Tierschutz zu uns und wurde sofort, mit Brustgeschirr und Schleppleine ausgestattet, in das gemeinsame Training integriert. Obwohl sie von Temperament, Wesen und Körperbau ein komplett anderer Typ Hund ist, gab es zwischen ihr und den Doggen nie Probleme. Inzwischen sind meine Doggen alle über die Regenbogenbrücke gegangen, so dass uns jetzt nur noch Milli-Mi begleitet.
Während der vergangenen zwölf Jahre haben meine Hunde und ich diverse Seminare rund um diese Trainingsmethode besucht. Leben heisst Lernen, und es gibt immer wieder tolle Bausteine, die man vorher vielleicht noch nicht kannte und die dem Menschen helfen, noch besser mit seinem vierbeinigen Begleiter klar zu kommen.
Für mich hat das gewaltfreie Training auf der Grundlage der positiven Verstärkung nur einen Nachteil: Wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, kann man die Augen nicht mehr vor dem gewaltsamen Umgang verschliessen, den manche Menschen mit ihren Hunden pflegen. Mir tut es im Herzen weh, beim Spaziergang einen Hund zu sehen, der mit dem in Deutschland immer noch erlaubten Stachelwürger, mit Alphawurf und Geschrei „zur Ordnung“ gerufen wird. Es gibt leider immer noch die, die „das haben wir immer schon so gemacht“ als der Weisheit letzten Schluss ansehen. Und ich brauche mir nur den Vierbeiner ansehen um zu wissen, welche Einstellung sich am anderen Ende der Leine „befindet“. Doch es hat sich bereits einiges getan, ist der Hund für viele Menschen vom zu beherrschenden Objekt zu einem Familienmitglied geworden, das mit Liebe, Achtung und Respekt behandelt wird. Und es ist allen Hunden und ihren Menschen zu wünschen, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Anja Kiefer, Herausgeberin (V.i.S.d.P.) des Online-Hundemagazins "Mein Herz bellt"
- Mein Hund heisst Milli-Mi
- Mein Motto im Umgang mit Hunden: Die innige Beziehung zwischen Hund und Mensch wird nur
derjenige erfahren, der seinem Hund als Freund begegnet
- Der Film, in dem meine Hunde die Hauptrolle spielen, hätte den Titel "Immer an deiner Seite"
- Mein Lieblingsbuch zum Thema Hund: "Ein Hund namens Gracie" von Dan Dye und Mark Beckloff
- Was ich an Hunden besonders liebe: ihre Fähigkeit zur bedingungslosen Freundschaft
- Mein erster Hund war Camelot (oder auch Lotte), eine Deutsche Dogge und ein Traum von einem Hund
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Susanne Siegel (Freitag, 05 Februar 2016 10:29)
Liebe Anja, ich bin total geflasht von dem Artikel- und finde mich da total wieder. Ich danke dir dafür :-)
Marleen Utech (Freitag, 05 Februar 2016 10:54)
Hallo Anja,
ein ganz toller Artikel!!! Ich kann das so gut nachvollziehen! Es ist ein wundervoller Weg und macht jeden Tag ein bisschen mehr Spaß, Allerdings ist es auch oft brutal, was man dann unterwegs so alles mitbekommt und wie mit vielen Hunden leider noch immer umgegangen wird. Hoffentlich dauert es nicht mehr lange, bis dieser Weg für jeden Hundehalter zugänglich ist.
Liebe Grüße,
Marleen
Claudia Eissler (Freitag, 05 Februar 2016 10:58)
Dem Geschriebenen ich nur aus vollem Herzen zustimmen. Danke für diesen Artikel. Und n ein, man kann die Augen nicht mehr verschliessen. Ich muss mich macnhmal zusammenreissen, weil man so vieles Unschöne sieht. Ab und zu kann man auch mit den Leuten reden und sie scheinen interessiert. Andere wollen keine Einmischung,
Bettina Haas (Freitag, 05 Februar 2016 12:13)
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel. Die Erfahrungen von Hundehaltern, die es "erst anders gemacht haben" zeigen, wie erfolgreich und entspannend zugleich die Arbeit mit der positiven Verstärkung ist. Ganz toll geschrieben, ich habe es fast atemlos gelesen. :)
Elke (Samstag, 06 Februar 2016)
Danke für diesen tollen Bericht :)
Ich sehe so oft Dinge, die mir im Herzen weh tun und ich weiß dann so oft nicht, was ich machen soll, denn ich kann nicht alle "nötigen" positiv zu arbeiten - leider.
Vielleicht öffnet dieser Artikel ein paar Leuten die Augen!
Seven (Montag, 08 Februar 2016 10:33)
So ähnlich hat es bei uns auch ausgesehen. Noch jetzt tut es mir Leid, was ich meinem damals neuen Familienmitglied angetan habe. Zum Glück ha es nur etwa einen Monat gedauert, so dass es sich nicht festigen konnte. Unser Tierschutzhund hat eine Menge Gepäck mitgebracht. Aber mit den kooperativen Trainingsmethoden der positiven Verstärkung haben wir die meisten Situationen im Griff und er hat auch noch Spaß bzw. weniger Stress dabei. Den Dominanzblödsinn kann man gleich wieder vergessen. Hunde sind keine Machthungrigen Welteroberer. Es sind soziale, empfindungsfähigen Opportunisten. Wenn man die Sache kooperativ angeht, also nach dem Prinzip "Eine Hand wäscht die andere", wird man schnell merken, dass Hunde sehr lernfähig sind und den Interessenausgleich gerne mitmachen.
Malu (Mittwoch, 10 Februar 2016 15:06)
danke für den informativen und lehrreichen Artikel :) Nun müssten es nur noch die letzten begreifen